Glitzern - Finger die nicht lügen (Kapitel 6)

[DKaay]

Morgen

Das Handy liegt neben mir auf dem Kissen, das Display
nach oben, der Raum dunkel genug, dass der Bildschirm
wie ein eigenes kleines Fenster wirkt.
„Zugestellt“ steht erst da. Dann dieser winzige Moment, in
dem nichts passiert und trotzdem alles schon vibriert – in
mir, nicht im Gerät.
Als die drei Punkte auftauchen, atme ich einmal kurz
schärfer ein.
Du bist da. Wach. Bei mir.
Deine Antwort ist so schlicht, dass sie mich fast mehr trifft
als jeder ausformulierte Satz:
„Nicht abwischen.“
Ich starre darauf, weil zwischen den neun Buchstaben alles
steckt, was du sonst zwischen meine Zeilen legst. Kein
Smiley, kein Herz, nichts zum Relativieren. Nur eine
Anweisung, als würdest du neben mir stehen und mir leise
in die Hand sprechen.
Mein Puls meldet sich. Nicht laut, eher wie ein Klopfen an
einer Tür von innen.
Grün, denke ich. Aber das Grün ist satter als vorher.
Ich tippe:
„Stört dich das?“
Lösche es.
Tippe: „Was genau?“
Lösche wieder.
Am Ende schicke ich nur ein Foto. Kein Gesicht, keine
Umgebung, nur meine Hand im Halbdunkel, die Tropfen
wie kleine Lichtpunkte auf der Haut. Du würdest den
Kontext auch ohne Text erkennen. Der Schal liegt
unschuldig im Hintergrund, halb im Schatten, als wäre er
zufällig ins Bild gerutscht.
Diesmal musst du nicht lange überlegen.
„Lass es trocknen. Morgen gehört das mir.“
Ich schließe die Augen. Ich lese den Satz noch einmal,
langsamer, als würdest du jeden Buchstaben an meiner Haut
entlang schreiben. „Gehört das mir.“ Kein Bitte, keine
Frage. Besitz in weich formuliert.
Gelb, meldet etwas kurz. Diese schmale Linie zwischen „zu
viel“ und „genau richtig“.
Ich lächle. Schiebe den Regler innerlich zurück auf Grün.
Du weißt genau, wie nah du an die Kante gehen kannst.
Ich tippe:
„Dann beeil dich mit morgen.“
Du antwortest nur mit einer Sprachnachricht. Sie ist kurz.
Ich traue mich erst nach ein paar Atemzügen, sie
anzuhören. Dein Ton ist ruhig, tiefer als sonst, dieses
Lächeln irgendwie hörbar.
„Schlaf. Den Rest klären wir, wenn deine Finger wieder
glitzern. Live.“
Mehr sagst du nicht. Kein „Gute Nacht“, keine Floskel.
Aber ich liege da und habe das Gefühl, du hättest mir
gerade die Decke bis an das Kinn gezogen.
Ich schalte das Display aus. Der Raum kippt in Dunkelheit,
nur ein Rest Orange von der Straßenlaterne streift die
Wand. Meine Hand liegt auf dem Bauch, die Haut
inzwischen trocken, aber ich bilde mir ein, das Licht noch
zu sehen. Restglitzern, unsichtbar für jeden außer dir.
„Live“, murmele ich. Der Gedanke legt sich wie warmes
Tuch über mich.
Ich drehe mich auf die Seite, das Handy unter dem
Kopfkissen, als könnte ich dich näher schieben. Der Schlaf
kommt nicht sofort, aber das ist in Ordnung. Es reicht, dass
du in meiner letzten bewussten Schleife vorkommst – dein
Blick, deine Stimme, dieser Satz mit dem „gehört mir“.
Als der Wecker am Morgen vibrierend losgeht, fühlt es sich
an, als hätte ich die ganze Nacht knapp unter der
Oberfläche geschwebt. Nicht tief, aber warm. Ich streiche
automatisch kurz über meinen Handrücken, als müsste da
noch etwas schimmern. Nur Haut. Und trotzdem: In
meinem Kopf glitzert es.
Im Bad ist das Licht härter als gestern Abend. Alltag, Neon,
Spiegel, der nichts beschönigt. Ich beuge mich vor, sehe
Augenringe und dieses kleine, zufriedene Ziehen an den
Mundwinkeln, das ich so nicht bestellt habe.
Das Wasser im Waschbecken läuft klar und kühl. Ich halte
die Hände darunter, beobachte, wie sich die Tropfen wieder
sammeln, an denselben Stellen wie gestern. Dieses Mal
sind sie nicht geheim. Sie erinnern mich nur. Ich drehe die
Hände, lasse die Tropfen über die Fingerknöchel laufen,
und in meinem Kopf hör ich dich:
Nicht abwischen.
Ich trockne mir die Hände trotzdem – Routine gewinnt,
aber der Gedanke bleibt. Ich knote mir den Schal heute
nicht ans Handgelenk, sondern ganz normal um den Hals.
Niemand muss sehen, was er für mich ist. Dein Gewicht
ohne dich.
Beim Kaffee im Büro – die Tasse zu nah am Rand, die
Untertasse schon mit kleinen Spritzern übersät – erwische
ich mich, wie ich mit dem Daumen durch eine Kaffeepfütze
fahre. Dünner brauner Film, der im Licht des Fensterbands
hauchfein glänzt. Ich lache leise in mich hinein. Vernünftig
ist das nicht. Schön schon.
Mein Handy blinkt. Dein Name auf dem Display,
Nachricht:
„Status?“
Keine Begrüßung, kein Kontext. Ich lehne mich im Stuhl
zurück, sehe kurz zur Tür, als würde jemand beobachten
können, wie mein Puls reagiert. Dann tippe ich:
„Leicht verschmiert. Arbeitsfähig.“
Du antwortest erstaunlich schnell:
„Gut. Dann heute nur gucken. Nicht mehr
verwischen.“
Mit „gucken“ meinst du nicht die E-Mails. Nicht die Akten,
nicht die Monitore. Wir wissen beide, worüber wir hier
eigentlich schreiben. Ich stelle mir vor, wie du mich
ansiehst, wenn wir uns nachher irgendwo im Flur kreuzen,
Blick zuerst in mein Gesicht, dann einen Schlag zu lang an
meinen Händen.
Ich schreibe:
„Du übernimmst die Qualitätskontrolle?“
Du:
„Immer, wenn du glitzernd vor mir auftauchst.“
Ich presse die Lippen zusammen, um nicht zu grinsen wie
eine Idiotin. Meine Kollegin nebenan tippt hörbar in die
Tastatur; in der Ferne quietscht ein Stuhl. Alltag rastet ein
wie Zahnräder – und dazwischen du, wie ein Zahnrad aus
anderem Material, das trotzdem perfekt greift.
Den Rest des Vormittags funktionieren meine Hände. Sie
sortieren, klicken, blättern. Aber jedes Mal, wenn ich kurz
innehalte, sehe ich sie in einer anderen Szene: deine Finger,
die meine drehen, deine Lippen, die über dem, was glitzert,
langsam leiser werden.
Als wir uns tatsächlich sehen, ist es fast unspektakulär. Flur,
Tür, ein paar Menschen um uns herum. Du kommst mir
entgegen, Ordner unter dem Arm, Blick auf irgendwas, das
du eben noch gedanklich sortiert hast. Und dann dieses
unmerkliche Umschalten, wenn du mich registrierst.
Dein Blick verhakt sich zwei Sekunden zu lang in meinem
Gesicht.
„Moin“, sagst du, ganz normal.
„Hi“, antworte ich, genauso normal.
Nur, dass meine Finger sich in genau dem Moment
aneinander entlangziehen, fast als würde ich mir unbewusst
die Hände reiben. Du siehst es. Es ist nur ein Zucken in
deinem Mundwinkel, kaum da und doch eindeutig. Dein
Blick flackert kurz nach unten, zu meinen Händen, wieder
hoch. Kein Kommentar. Kein Lächeln, das andere
verstehen würden. Nur dieses winzige Aufblitzen von „ich
weiß“.
Grün, meldet mein Puls. Lauter. Lebendiger.
Später, irgendwo zwischen zweiter Tasse Kaffee und letzter
Mail, summt das Handy erneut. Deine Nachricht besteht
diesmal nur aus zwei Wörtern:
„Heute Abend?“
Ich starre darauf, spüre, wie etwas in mir wie ein Schalter
reagiert. Unaufgeregt, aber endgültig.
Ich tippe zurück:
„Nur gucken. Du hast es gesagt.“
Deine Antwort lässt ein paar Minuten auf sich warten. Ich
arbeite in der Zeit weiter, zumindest äußerlich. Als sie
erscheint, wird der Bildschirm kurz zur eigenen kleinen
Bühne:
„Gucken kann mehr sein, als du denkst. Zieh was
an, das schön glitzert – auch wenn es nur in
deinem Kopf ist.“
Ich lehne den Kopf ans Fenster, lasse die Stirn kurz gegen
das kühle Glas sinken. Draußen ziehen Menschen vorbei,
Autos, Alltag. Drinnen sortieren meine Gedanken neu.
Ordnung & Lust, wie du immer sagst. Erst das eine, dann
das andere. Oder beides gleichzeitig, wenn ich dich an mich
heranlasse.
Heute Abend, denke ich, wird nichts explizit passieren
müssen, damit es sich anfühlt, als würde alles passieren.
Ein Blick zu viel, eine Hand, die zufällig an meiner
vorbeistreift, dein Mund, der beim Reden zu nah an
meinem Ohr ist. Plus der Gedanke: Du weißt, was meine
Finger gestern gemacht haben. Du weißt, was sie heute
nicht dürfen. Noch nicht.
Der Tag rollt weiter. Und irgendwo unter all den To-do-
Listen wartet dieses eine, unausgesprochene Vorhaben:
dass du heute nicht nur mein Glitzern sehen willst –
sondern jede kleine Stelle findest, an der ich es vor dir zu
verstecken versuche.