Glitzern - Finger die nicht lügen (Kapitel 10)

[DKaay]

Bruch

 

Ich erfahre es nicht von dir.

 

Natürlich nicht.

Sowas kommt nie sauber an der Quelle.

 

Es ist eine dieser halblauten Flur-Szenen. Stimmen, die so tun, als wären sie zufällig laut genug, um genau an meinem Ohr vorbeizuziehen.

 

„…hat wohl rum erzählt, dass er sie schon flachgelegt hat.“

Kichern. Eine andere Stimme, spitzer: „Na, wundern würd’s mich nicht. Die hängt ja ständig in seiner Nähe.“

 

Ich bleibe kurz stehen, ohne stehenzubleiben. Mein Körper macht einen Mini-Stolperer, den man von außen als „müde“ verbuchen kann. Innen reißt etwas auf.

 

Flachgelegt.

Dieses Wort passt nicht zu dem, was zwischen uns passiert ist. Es ist grob, billig, zu klein. Es klingt nach Alkohol, nach Toilettenkabine, nach „war halt mal“. Es hat nichts zu tun mit meinen Handgelenken am Balken, deinem „Farbe?“, meinem „Härter“ im Dunkeln, meinem Nachbeben.

 

Ich gehe weiter, als wäre nichts.

Aber meine Hände zittern, als ich die Tür zu meinem Büro öffne.

Ich schreibe dir später eine Nachricht. Kein Drama, keine Szene.

 

„Kleine Info: Es gibt Gerede. Angeblich hättest du rumposaunt, dass du mich flachgelegt hast.“

 

Ich starre auf das Wort „flachgelegt“, als hätte ich selbst etwas Verräterisches geschrieben. Kurz überlege ich, es zu ersetzen. „Geschlafen mit“, „was gehabt mit“ – alles nicht viel besser. Es bleibt, wie es ist. Roh.

 

Deine Antwort dauert länger als sonst. Länger als „3 Punkte = ich schreibe schon“.

 

Als sie kommt, ist sie knapp:

 

„Hab ich nicht. Und trotzdem wissen wir beide, was so ein Gerede anrichten kann.“

 

Noch eine Nachricht, hinterhergeschoben:

 

„Ich zieh mich etwas raus. Dienstlich sauber bleiben.“

 

Die Worte stehen da. Ordentlich, vernünftig, nachvollziehbar.

Sie tun trotzdem weh.

 

Ich tippe „Verstehe“, lösche es, tippe „Schon okay“, lösche wieder.

Am Ende schicke ich nur:

 

„Ist angekommen.“

 

Das ist der Moment, in dem es bei uns kurz still wird.

Nicht dieses angenehme, gespannte Still, das wir sonst haben – sondern etwas, das sich anfühlt wie Funkloch.

 

In der Mense sitze ich allein. Nicht, weil es keinen Platz an anderen Tischen gäbe, sondern weil mein Kopf gerade keinen Lärm erträgt.

 

Tablett, Nudeln mit irgendwas, ein Salat, der nach Pflicht aussieht. Um mich herum klappern Besteck und Stimmen. Ich höre Namen, Dienstgrade, irgendwer schimpft über den Kaffee. Es ist diese gewohnte Geräuschkulisse, die sonst alles überdeckt.

 

Heute nicht.

 

Ich sehe dich am anderen Ende der Mense. Du sitzt mit zwei Kollegen, lachst über irgendwas, der Oberkörper leicht nach vorne gelehnt. Von hier aus sehe ich nur dein Profil, die Linie deines Halses, wenn du den Kopf in den Nacken legst. Du schaust nicht her. Zumindest nicht offensichtlich.

 

Ich wette, irgendjemand hier drin denkt, er wüsste Bescheid.

Sie sehen mich, sehen dich, basteln sich daraus ihre Version.

 

Er hat geprahlt.

Der Satz der Kollegin brennt in mir nach. Ich kenne dich. Du bist frech, ja. Ironisch. Du spielst mit Untertönen. Aber dieses plumpe „Ey, die hab ich weggehauen“ – das bist du nicht. Dafür warst du zu sorgfältig mit mir. Zu achtsam in Momenten, in denen du hurra hättest schreien können – und es nicht getan hast.

 

Und doch: Das Gerede ist da.

Nicht greifbar, aber spürbar. Ein Luftzug, der den Raum schief zieht.

 

Ich schiebe das Essen auf meinem Teller hin und her. Hunger habe ich keinen. Meine Gedanken laufen Kreise:

 

Wenn sie dir sowas in den Mund legen, was legen sie mir in den Mund?

Ich bin dann die, die sich vom Ausbilder flachlegen lässt. Die, die sich hoch… – ich breche den Gedanken ab. Es ist egal, wie das Wort heißt. Ich kenne die Blicke, die zu solchen Geschichten gehören. Diese Mischung aus Neid, Verachtung, falscher Bewunderung.

 

Und dann ist da noch eine andere Ebene, viel tiefer:

Was, wenn du recht hast und dich zurückziehen musst, damit wir nicht beide gegen die Wand fahren?

 

Dienstwege. Befehlsstrukturen. Dienstaufsicht.

Irgendwo auf irgendwelchen Bögen stehst du über mir.

Und wir wissen beide, was passiert, wenn jemand Lust und Macht in einer Dienststelle in denselben Satz packt.

 

Ich nehme einen Schluck Wasser, er ist lau und schmeckt nach Metall. In meinem Kopf schiebt sich stattdessen ein ganz anderes Bild nach vorne: du über mir, dein Körper warm und schwer, deine Hände an meinen Hüften. Mein eigener Laut, als du nicht nachgelassen hast.

 

Mein Puls meldet sich.

Grün, eindeutig.

Und gleichzeitig rot, weil hier Mense ist, Menschen, Öffentlichkeit.

 

Ich werde heiß im Gesicht, ohne dass jemand etwas getan hat. Meine Oberschenkel spannen an, meine Finger krallen sich in die Tischkante. Mein Körper scheißt auf Ruf, Strukturen, Gerede. Er erinnert sich nur daran, wie es sich angefühlt hat. Wie tief ich loslassen konnte. Wie sehr ich mehr wollte.

 

Wie kann ich gleichzeitig so hysterisch vernünftig und so bescheuert süchtig sein?

 

Ein Kollege setzt sich an den Nachbartisch, nickt mir zu.

„Na, alles klar?“

„Klar“, lüge ich und piekse demonstrativ eine Tomate.

 

Er lächelt. „Läuft was zwischen dir und…?“ Er nennt deinen Namen mit diesem Ton, den ich sofort hasse.

 

„Nein“, sage ich scharf. „Läuft nicht.“

 

Er hebt abwehrend die Hände. „Schon gut. Man hört halt so Sachen.“

 

„Und du glaubst alles, was du hörst?“ Ich merke selbst, wie schnell ich bin.

 

Er mustert mich kurz, dann gibt er Ruhe.

Ich esse die Tomate, obwohl mir schlecht wird.

 

Zu Hause später, alleine, ist es, als würde mein Kopf alle Szenen des Tages in Zeitlupe noch einmal abspielen. Die Blicke im Flur. Das Lachen am Kopierer. Dein Profil in der Mense. Deine Nachricht: „Ich zieh mich raus.“

 

Ich liege auf dem Bett, das Zimmer ist dunkel, nur das Handy leuchtet neben mir. Kein neues Icon von dir. Keine drei Punkte. Leere.

 

Meine Hand wandert wie von selbst. Erst über den Bauch, dann tiefer. Mein Körper ist schneller als mein Stolz, schneller als mein verletztes Ego. Ich schließe die Augen und schalte um.

 

Nicht Mense. Nicht Flur.

Balken. Schal. Reflexrad.

 

Ich denke an dein „Was willst du?“ und mein „Härter“.

Ich höre mich selbst, wie ich am Ende nur noch „mehr“ geflüstert habe, obwohl ich schon lange über dem Limit war. Ich denke an deine Hände, an dein Wissen. Darum geht es am meisten: dass du mich gelesen hast wie etwas, das du behalten willst, nicht wie etwas, das man im Flur weitererzählt.

 

Je tiefer ich in diese Bilder rutsche, desto mehr verschwimmt der Ärger über das Gerede.

Dafür werden andere Dinge klarer.

 

Ich will das zurück.

Nicht irgendeinen Kerl, nicht irgendeine Affäre. Ich will uns zurück, so wie es war, bevor andere ihre Finger dazwischen hatten.

 

Mein Körper reagiert brutal ehrlich. Schon der Gedanke daran, wie du mich im Flur nur schräg angesehen hattest, reicht, damit ich feucht werde. Kein romantisches Kopfkino, sondern ein körperliches „Ja“, das sich nicht weichreden lässt.

 

Ich komme, schneller als ich will, und es ist kein süßer, kleiner Orgasmus. Es ist dieses harte Nachvorn-Kippen, bei dem sich der Rücken durchdrückt und die Luft kurz wegbleibt. Danach liege ich da, atme, die Finger noch feucht, der Puls zu hoch.

 

Und mit der Nachglut kommt die Realität zurück.

 

Gerede.

Machtgefälle.

Dienstaufsicht.

 

Was, wenn irgendwer offiziell wird? Wenn jemand zu einer vorgesetzten Stelle geht und sagt: „Da läuft was.“

Was, wenn man dir vorwirft, du würdest deine Position ausnutzen?

Was, wenn ich die werde, die „nicht nein sagen konnte“ – als ob ich nicht genau wüsste, wie sehr ich ja gesagt habe?

 

Der Gedanke schnürt mir die Kehle zu.

Zum ersten Mal begreife ich nicht nur, dass das Konsequenzen haben könnte, sondern wie schnell sie uns beide treffen würden.

 

In den nächsten Tagen wird es nicht besser.

Eher dichter.

 

Auf dem Flur nehme ich Gespräche wahr, die abrupt enden, wenn ich um die Ecke komme. Ein Kollege sagt im Spaß „Na, du und dein Lieblings…“, bricht ab, als ich ihn anschaue. Jemand pfeift leise, als du an mir vorbeigehst, und tut so, als sei es ein Lied.

 

Du bleibst korrekt.

Zu korrekt.

 

Grüßen. Kurze Infos. Dienstlich. Kein zufälliges Streifen meiner Hand mehr, kein Blick, der eine Sekunde zu lange bleibt. Du ziehst deine Linie so sauber, dass ich kotzen könnte – und gleichzeitig weiß ich, dass es genau das ist, was uns gerade den Kopf rettet.

 

Mein Körper aber hat eine andere Agenda.

Er reagiert immer noch. Unverschämt.

 

Wenn du einen Raum betrittst, zieht sich etwas tief in mir zusammen, noch bevor ich dich bewusst registriert habe. Ich werde heiß im Gesicht, obwohl wir nur über irgendeine Liste sprechen. Jedes „Frau…“ in deinem nüchternen Dienstton klingt in meinen Ohren wie eine Erinnerung an „Braves Mädchen“ im Chat.

 

Ich versuche, mich einzureden, dass das alles wieder abebb.

Dass es eine Phase ist. Dass das Gerede irgendwann ein neues Opfer findet.

 

Aber nachts, wenn ich wieder allein bin, liege ich wach und weiß:

Ich bin nicht nur in deine Hände geraten.

Ich bin in etwas gerutscht, das tiefer greift.

 

Ich erwische mich dabei, wie ich im Büro noch einmal nach Artikeln suche. Diesmal nicht nur „dom sub beziehung“, sondern:

 

„dom sub affäre gleiche firma gerede konsequenzen“

 

Die Antworten sind nicht beruhigend.

Disziplinarverfahren. Gerede, das nie wieder ganz verschwindet. Paare, die klüger hätten sein sollen. Geschichten von Leuten, die den Kontakt abgebrochen haben, um sich zu schützen – und daran fast zerbrochen sind.

 

Zwischen all dem pragmatischen Warnen steht aber auch etwas anderes:

Manche schreiben, dass sie trotz allem nicht anders konnten. Weil die Dynamik mehr war als nur „verboten“ – sie war wahr. Ein Ort, an dem sie zum ersten Mal ganz sie selbst waren.

 

Ich scrolle, bis mir schwindelig wird. In meinem Kopf mischt sich Angst mit Lust, Vernunft mit Sucht.

 

Vielleicht ist das der Punkt, an dem ich ehrlich sein muss – zumindest zu mir selbst:

Ich bin weiter in der Gefühlsebene, als ich mir zugestehen wollte.

 

Es geht nicht mehr nur darum, wie hart du mich an dem Balken hattest.

Es geht darum, wer ich unter deinen Händen war.

 

Gesehen.

Geführt.

Gehalten, während ich loslasse.

 

Die Vorstellung, dass das Geräusch im Flur, das Gelächter, die Sprüche uns dazu zwingen, alles auf Null zu setzen, tut fast körperlich weh.

 

Mein Körper beantwortet die Frage längst. Er wird feucht, wenn du nur am Ende des Ganges auftauchst. Er zieht sich zusammen, wenn du mich nicht ansiehst. Er rebelliert, wenn du korrekt bleibst.

 

Er schreit: Ich will zurück.

Tiefe, härter, ehrlicher.

 

Mein Kopf sitzt in der Mense, zählt Konsequenzen und Dienstgrade.

Mein Herz hängt irgendwo dazwischen und fragt sich leise, ob du gerade genauso in deinem Zimmer sitzt und denkst:

 

Wenn der Sturm sich gelegt hat – nehme ich sie mir wieder? Oder lasse ich sie gehen, bevor alles brennt?

 

Allein der Gedanke, dass diese Entscheidung vielleicht irgendwann vor uns steht, reicht, damit mir eine Gänsehaut über den Rücken läuft.

 

Ich nehme mein Handy in die Hand, tippe eine Nachricht, lösche sie wieder.

 

„Ich vermisse deine Hände.“

„Ich halte das Gerede schon irgendwie aus, wenn du bleibst.“

„Sag mir, dass du das auch noch willst.“

 

Ich schicke nichts.

 

Stattdessen werfe ich mich auf den Rücken, schließe die Augen und atme langsam, bis mein Puls von rot zurück auf gelb und schließlich auf ein zitterndes Grün rutscht.

 

Ich weiß nicht, wie es weitergeht.

Ich weiß nur eins:

Wenn du irgendwann wieder vor mir stehst, die Tür schließt und mich fragst: „Farbe?“, wird mein Körper die Antwort längst gegeben haben – noch bevor ich „Grün“ sagen kann.

 

Ich sitze an meinem Schreibtisch und starre auf den Bildschirm, aber in meinem Kopf läuft seit Tagen nur ein einziger Film. Bruch. Gerede. Sein Rückzug. Mein Puls schlägt höher, obwohl nichts passiert – außer meinem eigenen Gedankenkarussell.

 

Ich bin Führung, eigentlich gewöhnt, dass andere mit Problemen zu mir kommen. Dass ich Dinge einordne, sortiere, kläre. Aber diesmal bin ich selbst das Problem, wenigstens fühlt es sich so an. Ich merke, wie ich zum dritten Mal denselben Absatz öffne, ein paar Worte tippe und gleich wieder lösche.

 

Normalerweise bin ich strukturiert, klar, professionell. Jetzt sitze ich hier wie eine Rekrutin nach der ersten schlechten Rückmeldung.

 

Bevor ich es mir wieder anders überlege, stehe ich einfach auf.

 

Jetzt.

 

Nicht noch zehnmal überlegen, sonst mache ich es wieder nicht.

 

Der Flur hin zum Büro meines Chefs ist derselbe wie immer: neutrale Wände, gerahmte Bilder, irgendwo riecht es nach Kaffee und Putzmittel. Draußen auf dem Hof Motorengeräusche, Stimmenfetzen, Dienstalltag. In mir null Alltag. In mir ist Alarm.

 

Die Tür steht halb offen. Ich klopfe trotzdem an den Rahmen.

 

„Ja?“

 

Er schaut hoch, sieht mich und lehnt sich leicht im Stuhl zurück. „Na, was ist los?“ Wir duzen uns auf der Ebene schon lange, das macht vieles einfacher – und jetzt ausgerechnet schwerer.

 

Ich trete ein, schließe die Tür hinter mir. „Hast du kurz?“

 

„Klar, setz dich.“ Er deutet auf den Stuhl gegenüber. „Du klingst… nach nicht nur Papierkram.“

 

Ich setze mich, Rücken gerade, Hände gefaltet, als wäre das hier ein ganz normales Dienstgespräch. Mein Körper funktioniert auf Autopilot, während mein Kopf schreit: Was, wenn er schon irgendwas gehört hat? Was, wenn ich damit jetzt erst recht alles aufreiße?

 

„Also?“ Er sieht mich ruhig an. Dienstlich, aber nicht kalt.

 

„Ich wollte präventiv etwas ansprechen“, beginne ich und höre, wie sachlich meine Stimme klingt. Innen drin alles andere als sachlich. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass geredet wird. Über… eine mögliche Nähe zwischen mir und einem Kameraden.“

 

Das Wort „Nähe“ bleibt kurz an meiner Zunge kleben.

 

Sein Blick wird wacher, nicht vorwurfsvoll, eher prüfend. „Okay. Was genau geht rum?“

 

Ich atme langsam aus. „Es soll die Behauptung im Umlauf sein, er hätte… Dinge erzählt, die so nicht stimmen. Und das kann eigentlich nur daher kommen, dass man uns zusammen gesehen hat.“ Ich merke, wie sich meine Finger ineinander verkrampfen. „Wir haben für eine Veranstaltung eingekauft. Grillen. Dienstlich. Gleiche Wirtschaft wie die Untergebenen, klar, dass die da auch einkaufen. Man hat uns eben zusammen gesehen.“

 

Ich höre mich reden und denke gleichzeitig: Bitte nicht seinen Namen. Bitte nichts, was man später gegen ihn drehen kann.

 

„Mir ist wichtig klarzustellen“, fahre ich leiser fort, „dass ich meine Funktion kenne. Und dass ich nicht möchte, dass bei dir irgendwann der Eindruck entsteht, ich würde irgendwas verheimlichen oder meine Position ausnutzen.“

 

Er nickt langsam, legt die Hände ineinander. „Von meiner Seite ist dazu bisher nichts angekommen“, sagt er nach einem Moment. „Gut, dass du das ansprichst. Solange alles im Rahmen der Vorschriften läuft, ist… private Nähe zwischen Erwachsenen erstmal nicht unser Kernthema – solange der Dienst nicht leidet und keiner seine Funktion missbraucht, gerade du als Führung.“

 

Dieses „gerade du als Führung“ trifft mich, obwohl es vollkommen sachlich gemeint ist.

 

„Verstanden“, sage ich. Dienstsprache. Tarnung. „Mir ging es darum, dass du es von mir hörst, falls irgendwas hochkocht.“

 

Er nickt. „Wenn was auf meinem Tisch landet, reden wir offen drüber. Du weißt, ich sag dir dann auch, wenn was gar nicht geht. Aber aktuell ist bei mir nichts. Also atmen.“

 

Ich nicke wieder, etwas zu schnell. „Okay. Danke.“

 

Als ich wieder im Flur stehe, merke ich erst, wie angespannt meine Schultern sind. Ich laufe den Gang zurück, der Boden unter meinen Schuhen fühlt sich plötzlich weich und schwankend an. In meinem Kopf hängt eine Frage fest:

 

Hab ich ihn gerade geschützt – oder ihn verraten?

 

Denn ich habe ja gesagt, dass der Ursprung darin liegt, dass man uns beim Einkaufen gesehen hat. Uns. Zusammen. Ich habe seinen Namen nicht genannt, aber jeder, der will, könnte eins und eins zusammenzählen. Dieses Gefühl frisst an mir, während ich in mein Büro zurücklaufe und so tue, als wäre ich die gleiche wie immer: Chefin, ruhig, souverän.

 

Er meldet sich trotzdem nicht.

 

Kein „Hey“, kein ironischer Kommentar, kein kleiner Seitenhieb auf irgendeine Dienstabsurdität. Nichts. Unsere Chats liegen da wie eingefroren. Die letzten Nachrichten stehen am oberen Rand, als wäre nur eine kurze Pause. Aber die Tage schieben sich dazwischen. Einer nach dem anderen.

 

Dienstlich ist er korrekt, distanziert, professionell. Wenn wir uns begegnen müssen, dann in Besprechungen, Lageupdates, Abstimmungen. Klare Sätze, klare Themen. Kein Funkeln mehr, keine kleinen Seitenwege zwischen den Zeilen.

 

Es ist, als hätte jemand eine unsichtbare Linie gezogen – und er weigert sich jetzt konsequent, die zu überschreiten.

 

Abends in meiner Wohnung ist die Stadt draußen eigentlich schön. Kopfsteinpflaster, alte Häuser mit Fachwerk, die sich im gelben Licht der Straßenlaternen abzeichnen. Ein paar Stimmen unten, irgendwo klappert Geschirr, im Hinterhof schnurrt eine Heizungsanlage, gleichmäßig, beruhigend.

 

Mich beruhigt gerade gar nichts.

 

Ich sitze im Halbdunkel auf dem Sofa, nur eine kleine Lampe brennt. Das Handy liegt in meiner Hand, mein Daumen scrollt automatisch durch unseren alten Chat. Immer wieder.

 

„Du weißt schon, dass du mich damit wahnsinnig machst?“

 

„Noch bist du grün.“

 

„Spürst du deinen Puls? Genau.“

 

Ich lese die Zeilen und spüre, wie sich etwas in mir zusammenzieht. Meine Mitte verrät mich jedes Mal, wenn ich diesen Verlauf öffne. Es ist, als würde mein Körper sofort wieder in den Modus springen, den er bei ihm hat – dieses kribbelnde, gefährliche, warme Ziehen, das sich nicht abstellen lässt, nur weil der Verstand gerade Panik schiebt.

 

Ich streiche mit dem Finger über eine Nachricht, als könnte ich dadurch seine Stimme hören.

 

„Du bist altmodisch“, hat er mal geschrieben. „Das mag ich.“

 

Damals habe ich gelacht. Jetzt sitze ich hier, starre auf sein Bild, und merke, wie meine Augen brennen. Altmodisch heißt: Ich schreibe ihm nicht hinterher, wenn er sich zurückzieht. Altmodisch heißt: Ich warte. Ich halte Distanz. Ich hoffe, dass er sich meldet, wenn er bereit ist.

 

Aber was, wenn er entschieden hat, dass das alles zu gefährlich ist? Dass ich zu viel Risiko bin – Chefin, Blick der anderen, Gerede?

 

Eine Träne löst sich, landet auf dem Display. Ich wische sie weg, bevor sie einen Tropfenfilm hinterlässt, aber das Bild davor nicht: Ich, wie ich lieber zum Chef gehe, als zu ihm. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mich gerade schäme oder wütend bin – oder beides.

 

Innerlich flüstert eine leise Stimme: Hättest du nicht einfach mit ihm reden können?

 

Die andere Stimme zischt sofort: Wenn irgendwann jemand behauptet, du hättest deine Stellung ausgenutzt, stehst du ganz allein da. Niemand schützt dich außer dir. Also lieber einmal zu viel vorsichtig als einmal zu blauäugig.

 

Zwischen diesen beiden Stimmen stecke ich fest, während mein Blick wieder an einer Nachricht hängen bleibt.

 

„Ich halte dich, wenn du fällst.“

 

Ich schließe die Augen und merke, wie sich meine Finger zu einer Faust ballen. Ich vermisse dieses Gefühl – dieses sichere, stille „bei mir“, das in seinen Sätzen lag. Und gleichzeitig bohrt sich der Gedanke in meinen Bauch, dass ich genau dieses Vertrauen vielleicht selbst beschädigt habe. Ich tippe eine neue Nachricht:

 

„Hey. Ich wollte nur…“

 

Lösche sie wieder. Start. Stopp. Nochmal.

 

„Ich weiß nicht, was bei dir ankam, aber—“

 

Wieder löschen.

 

Am Ende bleibt der Chat unverändert, so tot wie vorher. Nur ich bin jetzt ein bisschen leiser geworden.

 

Im Dienst spiele ich weiter die Starke. Besprechungen leiten, Entscheidungen treffen, andere anweisen, Konflikte sortieren. Ich bin pünktlich, vorbereitet, klar. Für alle anderen bin ich die, zu der man hochgeht, wenn etwas brennt. Niemand soll das Gefühl haben, ich sei wackelig.

Aber ich merke, dass die Kameraden mich zwischendurch schräg anschauen.

 

„Alles okay?“, fragt mich einer in der Kaffeepause.

 

Ich ziehe automatisch mein Standardlächeln hoch. Kurz, freundlich, kontrolliert. „Alles gut. Viel los.“

 

Er akzeptiert die Antwort, weil es einfacher ist. Weil wir alle gelernt haben, bei „alles gut“ meistens einfach zu nicken.

 

Ich merke, dass ich weniger lache. Dass ich in Runden öfter schweige, die Arme vor der Brust verschränke, als müsste ich irgendwas in mir festhalten. Dass meine Augen ihn suchen, sobald ich einen Raum betrete – und dann sofort wegschauen, wenn ich ihn irgendwo am Rand sehe.

 

Er wirkt, als hätte er sich einen klaren, sauberen Rahmen gezogen: sachlich, unangreifbar, ein bisschen weiter weg als vorher. Vielleicht bilde ich mir das ein. Vielleicht ist es nur mein Blick, der alles schärfer sieht, sobald er irgendwo ist.

 

Aber jedes Mal, wenn er an mir vorbeigeht, ohne dass seine Hand mich beiläufig streift, ohne eine leise Andeutung, ohne dieses winzige Zucken seiner Mundwinkel, fühlt es sich an, als würde jemand die Luft aus meinem Brustkorb lassen.

 

Abends sitze ich dann wieder in meiner kleinen Wohnung, in dieser hübschen Stadt mit den Fachwerkhäusern, und höre mein eigenes Herz zu laut schlagen. Altmodisch, ja. So altmodisch, dass ich lieber hundertmal unsere alten Nachrichten lese und mich hineinsteigere in das, was war – oder hätte werden können – anstatt ein einziges Mal „Was ist los mit dir?“ zu schreiben.

 

Ich weiß nicht, ob ich ihn damit verliere oder schütze.

 

Ich weiß nur, dass etwas fehlt. Ganz klar, ganz schmerzhaft. Und dass ich jeden Tag ein bisschen mehr Angst davor bekomme, dass es vielleicht nie wieder zurückkommt.

 

Aufleben

 

Die nächsten Tage fühlen sich an, als hätte jemand den Tonrausgedreht – aber nur für uns. Du bist da. Natürlich. Besprechungen, Flur, Mails. Alles korrekt, sauber, dienstlich. Es sind kleine Dinge, an denen ich merke, dass du dich irklich zurückziehst: Dein Blick bleibt einen Hauch zu kurz bei mir hängen, deine Stimme rutscht nie mehr in dieses weiche Dunkel, das sie sonst hatte, wenn wir zufällig allein waren. Du

stellst dich im Dienstzimmer eher an die andere Seite des Tisches, als sei das reiner Zufall. Ich weiß, dass es keiner ist.

 

Und genau dieses bewusste Nicht-Berühren fühlt sich schlimmer an, als jedes offene Nein. Ich sitze im Büro, ein Stapel Vorgänge neben mir, als die Mail reinkommt:„Morgen: Verlegebesprechung / Übungsvorplanung.

Teilnehmer: … [mein Name], [dein Name] …“Natürlich. Natürlich müssen wir ausgerechnet jetzt wieder offiziell zusammen an einem Tisch sitzen und „neutral planen“, während in halb Flur die Gerüchte durch die Köpfe laufen. Ich starre auf die Mail, als könnte ich sie wegwünschen. Gleichzeitig merke ich, wie mein Puls hochgeht. Es ist lächerlich: ich habe Angst vor der Situation – und freue

mich doch darauf, dich länger als nur fünf Sekunden im Vorbeigehen zu sehen.

Am nächsten Tag sitze ich im Besprechungsraum schon, bevor die anderen kommen. Laptop aufgeklappt, Unterlagen ordentlich sortiert, Stift parallel zur Tischkante.

Alles an mir schreit: „professionell“. Du kommst als Letzter rein. Mappe unter dem Arm, Kaffee

in der Hand, dieser typische „zu wenig Schlaf, zu viel zu tun“-Blick. Dein Blick geht einmal durch die Runde, hängt

eine halbe Sekunde an mir fest – neutral, kontrolliert – und

dann startest du das Meeting.

Ich höre zu, mache Notizen, stelle Rückfragen.Von außen: vorbildlich.

Innen: Zitternder Zeiger im roten Bereich.

Einmal, mitten in irgendeiner Detaildiskussion, hör ich

deinen Ton brechen – ganz minimal. Du sagst

„unterstellen“ im Kontext von Material und Logistik, aber

mein Körper hört nur „Unterstellung“ und baut sich seine

eigenen Bilder.

Als die Besprechung vorbei ist, packen alle ihre Sachen,

Stühle rücken, irgendjemand macht einen Spruch. Ich warte

bewusst, bis sich der Raum leert. Du redest noch mit

zweien, dann gehen auch die raus.

Es dauert genau drei Sekunden, bis wir allein sind.

Die Tür fällt zu.

Es wird still.

Ich spüre, wie die Luft sich verändert.

Du lehnst dich mit einer Hand auf den Tisch, schaust mich

an. Keine Flucht, kein Smalltalk. Nur dieses direkte,

schonungslose Hinsehen, das ich so gut kenne.„Wir müssen einmal klar reden, bevor das hier alles eine

Richtung nimmt, die keiner von uns gebrauchen kann“,

sagst du ruhig.

Mein Herz rutscht nach unten. „Klingt nach schlechtem

Intro.“

Du ignorierst den Kommentar. „Es gibt Gerede. Du weißt

es. Ich weiß es. Und selbst, wenn es Lügen sind – sie haben

Gewicht. Für dich, für mich, für unsere Akten.“

„Ich weiß“, flüstere ich.

Du machst einen Schritt auf mich zu. Nicht nah genug, um

mich zu berühren, aber nah genug, dass ich deinen Geruch

wahrnehme. Ich muss an die Ofenform mit dem

Ofengemüse denken, an Rosmarin, Zitronenhähnchen,

deinen Kopf über meinem Teller. Es ist absurd, was mein

Gehirn sich aus den kleinsten Reizen bastelt.

„Wenn das hier auffliegt“, fährst du fort, „dann sehen die da

oben nicht ‚zwei erwachsene Menschen, die herausfinden,

was sie miteinander tun wollen‘. Die sehen ‚Vorgesetzter

und Unterstellte‘ und machen eine einfache Rechnung auf.“

„Ich weiß“, wiederhole ich. Meine Hände krallen sich in die

Tischkante. „Aber…“Du hebst eine Hand, stoppst mich. „Du weißt es im Kopf.

Ich bin mir nicht sicher, ob dein Körper das schon ganz

verstanden hat.“

Der Satz sitzt.

Mein Körper meldet sich prompt.

Natürlich.

„Also was?“ frage ich leise. „Gar kein Kontakt mehr? Du

dienstlich, ich dienstlich, fertig? Und der Rest – weg?“

Du siehst mich lange an. Dein Blick wandert kurz zu

meiner Hand, zu den Fingerknöcheln, dann wieder in mein

Gesicht.

„Fragst du das als Soldatin“, sagst du langsam, „oder als die

Frau, die am Balken ‚Härter‘ gesagt hat und drei Tage

später heimlich Dom/Sub googelt?“

Mein Atem stockt. „Das ist unfair.“

„Das ist ehrlich.“ Deine Stimme bleibt ruhig. „Ich weiß

genau, was das mit dir macht. Ich sehe es. Ich höre es. Und

ich wäre ein verdammt schlechter…“ – du zögerst, suchsteinen Begriff – „…Mann, wenn ich so tun würde, als

könnte ich das ignorieren.“

„Dann sag mir, was du willst“, presst es aus mir heraus.

„Ehrlich.“

Du kommst um den Tisch herum, bleibst direkt vor mir

stehen. Ich muss den Kopf heben, um dich anschauen zu

können. Die Nähe brennt.

„Im Dienst“, sagst du leise, „will ich, dass dein Name nicht

auf irgendeinem Zettel landet, auf dem er nicht hingehört.

Kein Verfahren. Kein schräger Eintrag. Kein ‚hatte was

mit…‘ in irgendwelchen Köpfen.“

Ich nicke, schlucke. „Und außerhalb vom Dienst?“

Deine Augen werden dunkler.

„Außerhalb vom Dienst…“ – du senkst die Stimme weiter –

„…will ich, dass du wieder vor mir kniest und so ehrlich

bist wie in der Nacht, in der du verstanden hast, wie sehr du

das brauchst.“

Der Satz trifft mich wie ein Schlag. Meine Knie fühlen sich

in genau diesem Moment gefährlich weich an. Ich greife

fester an die Tischkante.„Das schließt sich aus“, flüstere ich. „Oder?“

„Es macht es kompliziert“, korrigierst du. „Nicht

unmöglich.“

Du atmest durch, als würdest du innerlich einen Punkt

setzen.

„Heute Abend“, sagst du, „treffen wir uns nicht irgendwo,

nicht mit anderen, nicht halb. Du kommst nach Dienst raus

aus der Stadt. Weg von der Kaserne, weg von der Mense,

weg von Flur-Gerede. Nur wir zwei. Neutraler Boden. Wir

reden alles durch. Und dann entscheiden wir, wie wir

weitermachen – oder ob wir überhaupt.“

„Wo?“ frage ich automatisch.

Du lächelst schmal. „Kennst du die kleine Eisdiele am See?

Am Rand vom Wald, mit den alten Holzbänken?“

Ich nicke. Dorflegende. Halber romantischer Geheimtipp,

halber Familienausflugsort.

„Da“, sagst du. „Zivil. Keine Uniform. Kein Dienstgrad.“Du drehtest dich halb zur Tür, bleibst aber noch einen

Moment stehen. „Und bis dahin“, fügst du hinzu, „bleiben

wir sauber. Du reizt mich nicht im Flur, ich fasse dich nicht

an. Egal, wie sehr es in dir brennt.“

Es ist, als würdest du meinen Körper direkt ansprechen. Er

reagiert beleidigt und sehnsüchtig gleichzeitig.

„Farbe?“ fragst du noch, bevor du gehst.

„Gelb“, entkommt es mir. „Weil ich dich anschreien will

und dir gleichzeitig zustimme.“

Du lachst leise. „Gelb nehme ich. Grün holen wir uns, wenn

keiner mehr zuhört.“

Dann bist du raus.

Der See wirkt abends wie eine eigene Welt. Das Wasser

dunkel, nur eingerahmt von ein paar Laternen am Ufer. Die

Eisdiele hat noch auf, aber es ist kaum jemand da – zu kalt,

zu spät. Hinter der Glasfront leuchtet die Vitrine, jemand

räumt irgendwas im Hintergrund.Du sitzt schon auf einer der Holzbänke, Hoodie, Jeans,

keine Spur von Dienst. Nur du. Privat.

Ich bleibe einen Moment stehen, bevor ich mich zu dir

setze. Meine Hände sind kalt, obwohl mir innen heiß ist.

„Du siehst anders aus“, sage ich, statt „Hallo“.

„Du auch“, erwiderst du, ohne mich anzusehen. Dann

drehst du den Kopf doch zu mir. „Ganz schön mutig, sich

mit mir zu treffen, wo halb Flur meint, uns schon zu

kennen.“

„Halb Flur kennt gar nichts“, schießt es aus mir heraus,

bevor ich mich bremsen kann. „Die wissen nichts von

Balken, nichts von Farben, nichts von…“ – ich breche ab.

Du hebst eine Augenbraue. „Da ist sie wieder.“

„Wer?“

„Die Frau, die sich sicher ist, was ihr Körper will.“ Du

lehnt dich ein Stück zurück. „Also. Lass uns Fakten

sortieren.“

Die nächsten Minuten sind nüchterner als alles, was wir

bisher miteinander hatten – und gleichzeitig die intimsten.Wir gehen durch:

Was war.

Wie schnell es ging.

Wie sehr es uns erwischt hat.

Welche Gerüchte im Umlauf sind.

Wo die offiziellen Gefahren liegen.

Du erzählst mir, dass dich bereits jemand halblaut

angestoßen hat. Dass es Bemerkungen gab, die du

weggebissen hast. Dass du genau weißt, wie schnell aus

einem „Mundwerk“ ein „Verfahren“ werden kann.

Ich gestehe, dass ich nachts Artikel lese, Tests mache,

Begriffe lerne. Dass ich bei jedem Stichwort Dom/Sub

innerlich aufblende. Dass ich mich bei dem Gedanken

ertappe, wie ich vor dir knien würde – ohne Uniform, ohne

Dienst – und es richtig anfühlt.

„Ich suche ständig nach Ausreden“, sage ich leise. „Dass

ich nur in die Dynamik verknallt bin, nicht in dich. Dass es

nur die Macht ist, der Kontrast zum Alltag. Aber…“

„Aber?“ Du schaust mich ruhig an.„…aber wenn du einen Raum betrittst, und mich nur

anschaust, dann werde ich rot und feucht und es hat nichts

mit Theorie zu tun.“ Es ist mir peinlich, das so

auszusprechen – und gleichzeitig eine Erleichterung.

Du schweigst. Lange genug, dass ich kurz denke, es war zu

viel.

„Danke“, sagst du dann. „Für ehrlich.“

„Und du?“ frage ich. „Bist du nur in der Rolle drin?

Oder…“

Du ziehst die Schultern hoch, lässt sie wieder sinken. „Ich

könnte dir jetzt sagen, es wäre einfach nur geil, eine Frau

wie dich unter mir zu haben, die nicht dauernd diskutiert,

sondern manchmal einfach zulässt. Wäre ein Teil der

Wahrheit.“

„Nur ein Teil?“ Ich halte den Atem an.

„Der andere Teil ist, dass du mich gefährlicher machst, als

mir lieb ist“, sagst du. „Ich denke zu oft an dich. Zu

dienstlich, zu privat, zu dazwischen. Ich plane

Besprechungen und frage mich, welche Farbe du gerade

hättest, wenn ich jetzt einfach die Tür abschließen würde.“Der Satz fährt mir durch den Körper.

Mein Griff an der Bank wird fester.

„Das ist nicht besonders verantwortungsvoll“, sage ich. Es

soll ein Witz sein, klingt aber mehr nach Bekenntnis.

„Genau“, antwortest du. „Und deswegen sitzen wir hier.

Weil ich dich will – als Sub und als Frau – und dich

gleichzeitig nicht in die Scheiße reiten werde.“

Ein Windstoß weht über den See, trägt kalte Luft zu uns.

Ich zittere kurz.

Du bemerkst es, schiebst ohne viel Kommentar deinen

Ärmel so, dass dein Unterarm meinen streift. Es ist eine

kleine Berührung – kaum etwas – aber mein ganzer Körper

richtet sich danach aus.

„Option eins“, zählst du dann ruhig auf. „Wir machen hier

einen Cut. Wir bleiben im Dienst korrekt, treffen uns privat

gar nicht mehr, lassen es bei den zwei, drei Abenden und

hoffen, dass der Sturm sich legt.“

Mir wird speiübel bei dem Gedanken. „Okay“, flüstere ich.

„Und Option zwei?“Du drehst den Kopf ganz zu mir. Dein Blick ist ernst, kein

Funkeln, kein flirty Grinsen.

„Option zwei“, sagst du, „wir akzeptieren, dass das hier

mehr ist. Wir geben uns einen Rahmen – noch klarer als

vorher. Dienst ist Dienst. Kein Anfassen, kein Andeuten.

Nur Blicke, die keiner beweisen kann.“

Mein Herz springt bei „Blicke“.

„Privat…“ – dein Ton wird tiefer – „…bauen wir das weiter

auf. Bewusster. Ruhiger. Vielleicht seltener, aber intensiver.

Du liest dich ein, sagst mir, was in deinem Kopf rumspukt.

Ich zeige dir, was geht, ohne dich kaputtzumachen.“

Ich schlucke. „Und wenn wir uns trotzdem verheddern?

Emotional?“

„Kleine Info“, sagst du trocken. „Wir sind emotional

verheddert.“

Ich lache heiser. „Touché.“

Du rutschst ein Stück näher. Nicht dramatisch, nur so viel,

dass unsere Oberschenkel sich berühren. Unter dem Tisch,

unsichtbar für jeden, der zufällig vorbeigehen würde.Mir wird schwindelig.

Nicht vor Angst.

Vor Erleichterung.

„Du musst eins wissen“, sagst du leise. „Wenn du dich für

Option zwei entscheidest, heißt das auch: du wirst

süchtiger. Tiefer. Weniger kontrollierbar. Dein Körper noch

ehrlicher.“

„Zu spät“, antworte ich. „Das ist längst passiert.“

Du schaust mich so an, als hättest du auf genau diesen Satz

gewartet.

„Farbe?“ flüsterst du.

Ich sehe auf den See, auf das dunkle Wasser, auf mein

Spiegelbild im Glas. Ich denke an Flurgerede, an Mense, an

Disziplinarrecht. Ich denke an Balken, Reflexrad,

Zitronenhähnchen, deine Hände an meinen Hüften. Ich

denke an meine Finger in der Nacht, in der ich mir

eingeredet habe, dass es nur Sex ist – und daran, wie sehr

das gelogen war.

Als ich dich wieder anschaue, ist die Antwort da.„Grün“, sage ich. „Mit allen Konsequenzen.“

Du schließt für einen Moment die Augen, atmest einmal tief

ein, als würdest du dich innerlich justieren. Dann legst du

deine Hand auf meinen Nacken. Nicht hart, nicht grob – nur

dieses eine, klare Halten, das sofort durch meinen ganzen

Körper schießt.

„Dann ist das unsere letzte Chance, auszusteigen“,

murmelst du. „Ab jetzt werden wir beide mehr wollen, als

klug ist.“

„Ich will nicht klug sein“, sage ich rau. „Ich will dass du

mich anschaust, durch alle Leute durch, und ich rot werde

und feucht werde und allein vom Gedanken an deine Hände

fast den Verstand verliere.“

In deinen Augen flackert etwas Dunkles auf.

Lust.

Zufriedenheit.

Und eine Spur von Sorge.

„Gut“, sagst du. „Dann fangen wir beim nächsten Mal dort

an, wo du nicht mehr weglaufen kannst.“Du beugst dich vor, legst die Stirn kurz an meine. Kein

öffentlicher Kuss, kein Drama. Nur diese stille Berührung,

mit der alles gesagt ist.

Auf dem Weg nach Hause bin ich ruhig. Tiefer ruhig, als

ich es seit Wochen war.

Nicht, weil es weniger kompliziert geworden ist – im

Gegenteil.

Sondern, weil etwas klar ist:

Wir haben uns nicht gegen das entschieden.

Wir haben uns dafür entschieden – bewusst. Mit offenen

Augen.

Und als ich später im Bett liege, die Dunkelheit um mich,

der Schal über der Stuhllehne, das Handy neben mir, weiß

ich:

Beim nächsten „Farbe?“ werde ich nicht mehr überlegen.

Mein Körper hat längst beschlossen, wie es weitergeht.

Und mein Herz ist dabei, aufzuholen.