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Halb-Tot-Liebe


Empfohlener Beitrag

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Halb-Tot-Liebe

"Scheiße!“ Das war das erste, was mir durch den Kopf ging und was ich auch laut schrie, als es passierte. Scheiße war es wirklich, oder vielmehr ein Biss, ein Virus, eine Infektion und das gnadenlose Todesurteil für mich.

Wochen zuvor, hatten meine Frau und ich es in den Nachrichten gehört. Wieder einmal war irgendwo in irgendeinem überbevölkerten Gebiet auf dem Globus eine Krankheit ausgebrochen. Es gab unzählige Erkrankte und fast genau so viele Tote. Weit weg, auf einem anderen Kontinent, dort wo die Leute nicht mal so aussahen oder lebten, wie wir es gewöhnt waren.

Jedes Jahr die selbe Meldung in den Medien. Eine Krankheit, eine befürchtete Pandemie, Politiker aller Welt tagten. Man solle vorsorgen, haben sie gesagt, Vorräte anlegen für 14 Tage, Masken tragen, Hände waschen, desinfizieren. Das Übliche halt. Kaum einer scherte sich einen Dreck darum. Jedes Jahr dieselbe Panikmache, Nonsens. Die, die Angst machen sind Schwarzseher.

Zum Glück bin ich ein vorsorglicher Mensch. Vor allem, seit vor sechs Jahren, unser Sohn geboren wurde. Unser Keller war voll mit Vorräten, Klopapier, Wasser, Waffen. Ich hatte unser Haus, welches sowieso recht abgelegen, am Rand des Tals stand, so modernisiert, dass wir fast vollkommen autark lebten. Solarzellen auf dem Dach, Wasser von einem eigenen Brunnen, eine große Klärgrube, Erdwärme, Metalljallousien und eine speziell verstärkte Tür. Meine beste Neuerung am alten Bauernhaus, war der bunkerartige Keller, in den Boden eingelassen, direkt hinter dem Haus im Hang.

Ich war gewappnet für jede Katastrophe, sogar für das Überleben eines Krieges. Womit ich nicht rechnete, war dass Plünderer mit einem Zwölftonner direkt durch unsere Wohnzimmerwand fahren. Alle drei erledigte ich schnell und einigermaßen sauber mit meiner Jagdflinte. Der erste von ihnen, auf den ich schoß, zappelte noch ein wenig auf dem Boden meines völlig zerstörten Wohnzimmers rum, aber sein Körper gab nach wenigen Minuten auch auf. Niemand kommt an meine Familie ran. Nicht solange ich lebe, nicht solange ich sie liebe.

Das war etwa vier Wochen, nachdem die Seuche auch bei uns ausbrach. Gott lobe die Globalisierung und die uneingeschränkte Mobilität weltweit. Die Medien meldeten, dass sich infizierte Menschen seltsam benahmen. Sie wurden aggressiv und griffen gesunde Menschen an. Das Wort Zombie machte ebenso schnell die Runde, wie die Krankheit selbst. Ja, Menschen verwandelten sich in Zombies, das war wahr. Wir hatten genug „Walking Death“, „World War Z“ und ähnliches gesehen, um zu wissen, dass die Untotenseuche da war. Wir wussten nur nicht, wie schnell es gehen würde. Große Städte wurden binnen einer Woche überschwemmt, kleine Städte und Dörfer oftmals schon innerhalb von Stunden. Nach drei Wochen waren sie auch bei uns.

Meine Frau war gerade mit unserem Sohn auf dem Heimweg vom Einkaufen in der Stadt, als sie den ersten realen Zombie ihres Lebens sah. Zum Glück ist meine Frau weder besonders zartbeseitet, noch fährt sie Auto in Hausfrauenmanier. Was eine ansehnliche Liste an Überweisungen ans Ordnungsamt eindeutig belegt. Also gab sie noch mehr Gas als sonst auch schon und fuhr, alle Verkehrsvorschriften ignorierend, zu uns.

Sofort räumten wir die Einkäufe ins Haus, ich parkte ihr Auto neben meinem Pickup in der Garage, wir verbarrikadieren uns im Haus und fühlten uns sicher, das alles zu überstehen, bis das Militär uns retten würde. Das war der größte Fehler meines Lebens. Durch Metalljaloussien kann man nicht sehen, besonders nachts nicht und schon gar keinen Truck ohne Licht.

Also mussten wir in den Bunker umziehen und das möglichst schnell. Der Aufprall des Trucks und die darauf folgenden Schüsse, hatten natürlich sämtliche Zombies der Umgebung gelockt. Von überall her hörte man gutturale Grunzlaute und rennende Füße. Meine Frau schnappte sich schnell einen Arm voll Bekleidung aus dem Kleiderschrank, schnappte sich noch ein Toastbrot und die unangeschnittene Salami, welche noch vom Abendessen auf dem Tisch im Wohnzimmer und nun auf dem Boden lag und rannte die zehn Meter von der Hintertür direkt zum Bunker. Ich nahm unseren Sohn, der sich wegen des Lärms und der Schüsse ins Eck hinter seinem IKEA-Hausbett gekauert hatte und leise weinte, auf den Arm und setzte ihr, die Treppe herunter, durch die Hintertür, zum Bunker nach.

Auf halber Strecke traf mich ein Schlag direkt in den Rücken auf Höhe des rechten Schulterblatts. Ich konnte unseren Sohn zum Glück noch festhalten, geriet zwar ins Taumeln, konnte mich aber wieder fangen. Es war ein Biss, das war mir gleich klar. Ich konnte die Zähne auf meinem Schulterblatt spüren. Den letzten Meter warf ich meinen kleinen Jungen fast durch die offene Bunkertür, bevor ich mich selbst gegen die Tür warf und sie von außen schloß. Ich zerstörte schnellstmöglich den äußeren Öffnungsmechanismus mit einem herumliegenden Stein, so dass auch ich nicht mehr den Bunker von außen öffnen konnte. Ich durfte nicht mehr in den Bunker, aus Liebe zu meiner Frau und meinem Sohn. Ich war bereits jetzt ein Zombie. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich durchdrehen würde.

Jetzt ist, wenn mich die Reste meines Hirns noch nicht verlassen haben, Tag 9, an dem ich mich vor dem Bunker herumtreibe. Immer in Sichtweite der Tür, Ausschau haltend nach anderen Zombies oder dem, langersehnten, Militär. Klar überkommt mich des öfteren die Fressgier. Zwei mal habe ich schon einen Hasen mit bloßen Händen erlegt und ein mal sogar ein verwundetes Reh. Das warme Fleisch und das noch dampfende Blut machten mich fast rasend vor Wahnsinn und Gier. Aber wenn ich zum Bunker sah und an die zwei wohlriechenden Menschen darin dachte, überkam mich nur ein Gefühl unendlicher Liebe und Frieden. Nie würde ich die zwei angreifen. Statt dessen wehrte ich eine Menge Zombies vom Bunker ab. Fast 22 Stück insgesamt in den neun Tagen. Einundzwanzig um genau zu sein. Dem zweiundzwanzigsten sagte wohl ein kleiner Rest seines noch vorhandenen Hirns, es wäre besser jetzt zu rennen. Drei Kandidaten waren sogar Nachbarn von uns. Ein nettes älteres Paar, mit einem erwachsenen Sohn, der den Hof weiterführen würde, wenn der Alte nicht mehr konnte. Ab und an begegnete man sich auf der einsamen Kiesstraße zu unseren Häusern, unterhielt sich übers Wetter, das Dorf und wer denn nun der nächste Schützenkönig werden wird. Ein paar mal saßen wir auch schon bei uns am Grill mit einem Kasten Bier zusammen, so wie an meinem Vierzigsten, und feierten.

Das Ehepaar erledigte ich direkt, indem ich ihnen beiden mit einer Eisenstange -ich habe keine Ahnung woher ich die habe- einfach den Schädel in mehrere Teile schlug. Der Sohn wusste sich besser zu wehren. Ich musste ihm erst alle Knochen im Körper brechen, bevor ich ihm, als er hilflos am Boden lag, das Genick brach. Ich weiß nicht, wie viele Schläge ich einsteckte, aber Zombie sein hat zumindest den Vorteil, dass einem so etwas weder weh tut noch kümmert. Ich glaube seit dem ist mein linker Oberarmknochen gebrochen, was mich in meiner Bewegungsfreiheit aber weniger einschränkt.

Ich zerre die Leichen -kann man bei toten Zombies eigentlich von Leichen sprechen?- immer aus dem Blickfeld der Bunkertür. Mein Sohn soll sie durch die kleine, drahtgitterverstärkte Glasluke nicht sehen und sich ängstigen. Auch habe ich meinen verrottenden Körper vollständig in Bettücher gehüllt, damit er sich nicht vor mir fürchtet. Einmal, als ich ihn sah und das Glas berührte, rutschte meine graugrüne Leichenhand unter den Laken hervor. Ich sah seine ängstlich aufgerissenen Augen und hörte ihn schreien, bevor er hastig von der Luke zurückwich. Zwei Tage war er nicht mehr an der Tür. Mit ihm zu reden, habe ich am Tag 4 aufgehört. Es ist erstaunlich, wie schnell die Stimmbänder ausdörren, wenn man nicht mehr atmen muss. Meine Stimme ist nur noch ein ein heißeres, hohles Kreischen und Röcheln und selbst dafür muss ich bewusst meine Lungen mit Luft füllen. Also kommuniziere ich mit meiner Frau und meinem Sohn nur noch mit Gesten.

Ich war auch durchaus produktiv. Ich holte mir die Tischplatte aus dem Wohnzimmer, ritzte mit bloßen Fingern „2 Menscn keiin Vrius“ ein und stellte sie in Sichtweite der Straße vorm Bunker auf. Ich geb mein Bestes, damit die zwei gefunden werden, wenn endlich die Trucks und Panzer aus dem vorderen Tal zu uns hoch kommen.

Gestern passierte etwas Merkwürdiges. Ich hatte einen regelrechten Blackout. Plötzlich war ich nicht mehr wach. Vollkommene Leere um mich herum. Als ich wieder bei Bewusstsein -Haben Zombies überhaupt ein Bewusstsein?- war, kauerte ich vor der Bunkertür. Sie war voller Fingerkratzer und dickem Speichel von mir. Meine Frau schaute durch die Scheibe, hatte die Hände wie um Gnade bittend vor sich gehoben und weinte. Meinen Sohn sah ich gar nicht.

Jetzt weiß ich, der letzte Rest meines Hirns beginnt sich langsam abzuschalten und ich werde zum Monster ohne Gnade, ohne Liebe.

Es ist ein harter Kampf um mein Ich, den ich nur verlieren kann. Doch knapp 24 Stunden habe ich schon gewonnen. Ich werde nicht Klein Beigeben. Scheiß Zombie.

Gerade höre ich zwei Militärtrucks vom Tal zu uns hochfahren. Ich höre auch Schüsse. Ich glaube, es ist Zeit, meine Familie zu retten. Ich drehe mich noch einmal zur Tür um und sehe mit meinen trüben Augen, ganz dicht an die Scheibe gepresst, das Gesicht meines Sohnes. Er hat sich auf eine Kiste gestellt, um mich besser sehen zu können. Schlauer Junge. Bevor ich mich umdrehe, tippe ich mit meiner rechten klauenartigen Hand auf die Stelle, an der vor neun Tagen noch mein Herz schlug. Dann strecke ich die Hand aus und streichele über die Kontur seines Gesichtes auf der Scheibe. Ich sehe seine Augen -die schönsten Augen der Welt, sagte ich immer- und sehe die Tränen. Als ich mich umwende, und Richtung Soldaten zu gehen, glaube ich noch einmal seine Stimme zu hören.

Die Geschosse, die in mir einschlagen, stören mich nicht weiter. Ich ruckte beim Laufen nur komisch hin und her. Dann kommt das Feuer des Flammenwerfers. Es umschließt mich warm, wie ein alter Freund. Als ich höre, wie die ersten meiner Knochen in der Hitze bersten, kommt mein letzter Gedanke. Ich denke an meine Frau und an meinen Sohn.

Geschrieben

Auch hier ein :heart: liches Dankeschön für die wundervolle Geschichte. Wirklich erfrischend mal andere, neue Themen lesen zu dürfen. Ich mag deinen Schreibstil unheimlich.

Ich glaube, wenn du so weiter machst, hast du nen riesen Fan an der Backe! Freue mich auf deine nächste Geschichte. :relaxed:

LG :kissing_heart:

Geschrieben

Moin,

Zombies sind nicht mein. Wir hatten eine junge Mutter eine Weile bei uns einquatiert, wo sowas in Dauerschleife lief. Von daher weiß ich genau, was Du sehr gut beschrieben hast.

Wäre nichts für mich, aber meine Freundin, auch Domina wäre begeistert.

Ich mag den Schreibstil.

Lieben Gruß

Herrin Jessi

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