Haus an der See

August 27

Wie lange kennen wir uns jetzt schon? Es müssen schon fünf Jahre sein – wie die Zeit verfliegt. Auf gewöhnliche Weise haben wir uns getroffen, hatten beide gerade unser Studium angefangen und waren die einzigen, die nach der Einführungsveranstaltung allein vor dem Hörsaal standen. Den anderen hatte wohl schon jemand gesagt, dass man seine eigenen Freunde mitbringen musste, oder sie kamen alle aus der gleichen Stadt oder sowas. Wir saßen jedenfalls in der großen Halle und wussten nicht so recht, wohin mit uns. Dann ging ich einfach rüber und stellte mich vor und es ging gut aus. Wir wurden Freunde.

Seitdem haben wir viel Zeit miteinander verbracht, entdeckten gemeinsam Hobbies, feierten Feste und erlebten die Höhen und Tiefen des anderen: Beziehungen, Trennungen, Umzüge, Feste und all das. Und dann kam ja der Tag, an dem du mir dein Geheimnis verraten hast. Wieder einmal war eine Beziehung vorbei, dein Typ abgehauen und du hast mir verraten, dass es mit dem Sex nie so lief, wie du wolltest. Viel zu nett war er – wie er dich liebkost hat und all das. Am Anfang fandest du es in Ordnung, hast du mir erzählt. Erstmal warm werden, hast du gedacht, dann rückt er irgendwann schon raus mit seinen Fantasien. Aber da war nichts, nur Blümchensex und Kuscheln, aber du wolltest ja mehr.

Dann ist er gegangen, abgehauen, wie du sagst. Vielleicht hat er gespürt, dass du dich langweilst, fühlte sich unwohl, hat nicht mehr gefunden, was er gesucht hat. Du warst traurig, ja, natürlich. Wer ist nicht traurig, wenn eine Beziehung zu Ende geht? Ihr hattet euch ja aneinander gewöhnt und dann war er weg, von einem auf den anderen Tag. Das ist schon ein Schlag, wenn der andere einfach alles wegwirft, auch wenn es eigentlich schon nicht mehr gut war.

Lange traurig warst du jedenfalls nicht. Ich hatte das Gefühl, dass du richtig aufblühst. Du warst aufgeregt, hast deine Wohnung umgeräumt und dauernd auf dein Handy geschaut. Irgendetwas wollte aus dir raus, endlich an die Luft, endlich frei sein. Irgendwann kam ich zu dir zum Kaffee und du warst noch aufgeregter als sonst. „Kann ich dir was zeigen?“, hast du gesagt mit fast überschlagender Stimme, irgendwie nervös, als würden deine Worte und deine Gedanken sich ein Rennen liefern. Es hat dich sicher Überwindung gekostet. Dann habe ich dein Profil gesehen. Du hattest dich auf so einer Fetischplattform angemeldet, mit Forum und Dating. So wie auf deinem Profil hatte ich dich noch nie gesehen. Sicher, wir waren schon Schwimmen. Du im Bikini, kein Problem, kenne ich, aber so? Du halb nackt, mit Handschellen, mit einer Gerte, die du dir selbst auf den Po schlägst. Da habe ich große Augen gemacht!

Rot bist du geworden, aber dann hast du dich zusammengerissen. Du hast ja nicht gedacht, dass ich auf sowas stehe. Ganz sachlich bist du dann geworden und hast erklärt, dass du jetzt endlich zu deinen Vorlieben stehst. Wenn ich damals einfach, wie ein sabbernder Hund gebettelt hätte, das mit dir ausleben zu dürfen, was hättest du getan? Mich vor Aufregung besprungen? Ach was! Mist wäre das gewesen, über’s Knie gebrochen, überstürzt, dämlich. Hätte in der Situation nie geklappt. Aber hundertmal habe ich mich geärgert, dass ich’s nicht getan hab. Vielleicht hättest du ja doch ja gesagt und dann ne schnelle Nummer, Reue und Freundschaft vorbei. Oder glücklich für immer – wer weiß?

Jetzt kam erstmal der nächste Typ. Natürlich hast du auf so einer Seite wen gefunden mit dem Profil. Den Kerl hab‘ ich nie gemocht – Angeber, „naturdominant“ (Was auch immer?! – Egoproblem), geistlos (Fand ich, jedenfalls!). Ich wette ihr hattet geilen Sex! Oder etwa nicht? Jedenfalls verschwand der dann auch von der Bildfläche. Ich weiß nichtmehr, wie. In der Zeit hatten wir weniger Kontakt. Du hattest immer irgendwas mit ihm vor, aber ich glaube, er wollte dich nur nicht weglassen. Als mit dem Schluss war, hast du mir jedenfalls geschrieben, dass wir uns mal wieder treffen sollten, und ich habe mich natürlich gefreut.

Zu dieser Zeit hatte ich selbst viel zu tun, ich stand mittlerweile im Job, wie man sagt, oder bis zu den beinen in Arbeit. Die Zeit für dich habe ich mir aber genommen und ich fragte, ob du nicht mitkommen willst nach Dänemark, einfach mal ausspannen. Ich wollte mir da eh ein Ferienhaus nehmen, in der Nebensaison, wenn nicht so viel los ist – einfach ein bisschen am Strand spazieren gehen, Sauna im Haus nutzen und vielleicht ein bisschen was schreiben. Du warst begeistert von der Idee und damit hatten sich meine Pläne grundlegend geändert.

Als wir losfuhren, hast du dich noch gewundert, dass ich so viele Taschen dabeihabe. Die lagen schon im Kofferraum, als ich dich abgeholt habe und du hättest eh nicht reinsehen können. „Ach, ich konnte mich nicht entscheiden, welche Schuhe ich mitnehmen sollte und ob ich ein Hemd brauche, falls wir Essen gehen oder sowas“, habe ich dann einfach gesagt.

Das Haus war jedenfalls, so wie wir uns das vorgestellt hatten. Nachmittags holten wir die Schlüssel und dann gingen wir zum Strand. Viel Zeit hatten wir an dem Tag nicht, denn wir mussten noch einkaufen und unsere Sachen auspacken.

Am nächsten Morgen habe ich meinen Plan dann umgesetzt. Ich war vor dir wach und bereitet mich vor. Als du aufgestanden bist, habe ich mir nichts anmerken lassen. Du wolltest kurz vor die Tür gehen und frische Luft schnappen, doch die Tür war abgeschlossen. Als du zum Schlüsselbrett gegangen bist, war es leer. „Hey, hast du den Schlüssel genommen?“

Ich zog eine Gerte aus der Tasche, die ich planvoll neben mich gestellt hatte. Es war genauso eine, wie auf deinem Foto. Du sahst mich an, voller Überraschung, Erstaunen … Neugier. Den Schlüssel zog ich kurz danach aus meiner Hosentasche und legte ihn ruhig auf den Tisch. „Hier ist er, ich hatte ihn wohl aus Versehen eingesteckt.“ Deine Augen wanderten hin und her, als du meine Worte hörtest, die nicht zur Situation zu passen schienen, immer wieder von der Gerte zum Schlüssel. „Schließ einfach auf … Oder du kommst jetzt her und wir reden nochmal über diese Fantasien, von denen du mir damals erzählt hast.“ Ich deutete mit der Gerte auf den Platz neben mir. „In 30 Sekunden stecke ich entweder die Gerte oder den Schlüssel wieder weg.“

Fortsetzung?